Deutscher Jugendliteraturpreis 2018
Favoriten
Am 12. Oktober 2018 wurden auf der Frankfurter Buchmesse die Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises in den Kategorien Kinderbuch, Bilderbuch, Sachbuch und Jugendbuch verkündet. Zwei unserer Favoriten, die wir euch in den letzten Monaten vorgestellt haben, haben gewonnen. Wir freuen uns für sehr für alle Gewinner!
Die vollständige Übersicht der Nominierten findet ihr hier.
Über den Deutschen Jugendliteraturpreis:
Der Deutsche Jugendliteraturpreis wird seit 1956 jährlich vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestiftet und vom Arbeitskreis für Jugendliteratur ausgerichtet. Ziel des Deutschen Jugendliteraturpreises ist es, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit zu stärken und ihnen Orientierungshilfe bei einem schier unüberschaubaren Buchmarkt zu bieten. Ausgezeichnet werden herausragende Werke der Kinder- und Jugendliteratur.
Unser Favorit und der Gewinner in der Kategorie Bilderbuch
Øyvind Torseter (Text, Illustration)
Maike Dörries (Übersetzung)
Der siebente Bruder
oder Das Herz im Marmeladenglas
ISBN: 978-3-8369-5900-1
Gerstenberg
26,00 €
Ab 9 Jahren
Jurybegründung
In dieser Adaption eines norwegischen Volksmärchens erzählt Øyvind Torseter von sechs Brüdern, die zur Brautschau losziehen und auf dem Heimweg mitsamt ihren Prinzessinnen von einem Troll in Steine verwandelt werden. Hans, der daheimgebliebene, siebente Bruder bricht auf, um sie zu erlösen. Torseter stellt ihm dafür einen nervösen Klepper zur Seite, der überhaupt keine Lust auf Abenteuer hat. Hilfsbereit und arglos löst Hans unterwegs drei Aufgaben, was ihm, wie so oft in Märchen, noch zu Gute kommen wird. Denn er kann seine Brüder und deren Bräute nur retten, wenn er das Herz des Trolls findet.
Perfekt und gleichzeitig skizzenhaft wirken die in schwarzer Tinte gezeichneten Protagonisten. Torseter reduziert sie auf Konturen und schafft durch Collagen verschiedene Bildebenen, die er ausdrucksvoll in Aquarell-, Acryl- und Pastellfarben koloriert. Auch Seiteneinteilung und Schrift sind als Gestaltungsmittel eingesetzt.
Im Wechsel zwischen Panels und ganzseitigen Bildern entwickelt die Geschichte eine große Spannung und Kraft, die auch die Übersetzung von Maike Dörries wiedergibt. Der furchterregende Troll braucht in seiner ganzen Größe schon mal eine Doppelseite und wechselt sich mit kleinteiligen Tintenzeichnungen ab, die kleine Nebengeschichten erzählen. Die skurrile Komik der Gestalten spielt mit bekannten Protagonisten aus Märchenwelt und Literatur.
Unser Favorit und Gewinner in der Kategorie Kinderbuch
Megumi Iwasa (Text)
Jörg Mühle (Illustration)
Ursula Gräfe (Übersetzung)
Viele Grüße, Deine Giraffe
Moritz Verlag
ISBN: 978-3-89565-337-7
10,95 €
Ab 6 Jahren
Jurybegründung
Giraffe ist furchtbar langweilig. Nie passiert irgendetwas. Zum Glück hat Pelikan gerade einen Postdienst eröffnet und so kommt ihr eine Idee: Sie schreibt einen Brief für das erste Tier, dem Pelikan hinter dem Horizont begegnet. So gelangt der Brief letztlich zum Pinguin. Der antwortet natürlich sofort. Schnell macht dieser Briefwechsel allen so viel Spaß, dass sich daraus eine enge Brieffreundschaft entwickelt. Wie wohl eine Giraffe, wie ein Pinguin aussehen mag? Die Vorstellungen, die die beiden voneinander haben, entsprechen nicht immer der Wirklichkeit. So fragt sich Pinguin, was wohl ein Hals sei und Giraffe, wie jemand aussieht, der schwarz-weiß ist. Am Ende erwartet alle eine große Überraschung, von Langeweile keine Spur mehr.
Megumi Iwasas heiterer Briefroman über Freundschaft macht Lust auf Unbekanntes. Er ist leicht verständlich geschrieben und eignet sich für Jüngere zum Vorlesen sowie für Erstleser. Die einfache, aber pointierte Sprache kommt auch in Ursula Gräfes Übersetzung zum Tragen. Die Illustrationen von Jörg Mühle begleiten den Text und setzen ihn überaus lustig in Szene.
Hier geht es zur Rezension vom HIMBEER-Magazin zu “Viele Grüße, Deine Giraffe” auf Heldenstücke.
Der Gewinner in der Kategorie Jugendbuch
Manja Präkels
Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß
Verbrecher Verlag
ISBN: 978-3-95732-272-2
20,00 €
Ab 16 Jahren
Jurybegründung
Mimi wächst in den 1980er und 90er Jahren in einem Ort in der brandenburgischen Provinz auf. Jahre nach der Wende erinnert sie sich an ihre Kindheit und ihren Freund Oliver, der sich später selbst „Hitler“ nennt und als Neonazi die rechtsradikale Jugend des Ortes um sich schart.
Präkels faszinierender, autobiografisch gefärbter Roman erzählt mit dokumentarischer Genauigkeit vom Aufwachsen in der DDR, den Vorboten der Wende und ihren Folgen. Authentisch schildert sie die Alltagskultur der DDR und führt am Beispiel von Mimis Familie eindringlich vor, welche tiefen Spuren die Auflösung des sozialistischen Staates in den Biografien der Menschen hinterlässt. Vor allem erzählt Präkels aber davon, wie rechtes Gedankengut, Wut und Hass in der einstmals ländlichen Idylle um sich greifen, wie aus Kinderfreunden Täter, wie aus Oliver „Hitler“ werden konnte.
Präkels porträtiert eine Generation, die den Niedergang der DDR abseits der Großstädte weniger als Befreiung denn als widersprüchliches gesellschaftliches Ereignis erlebt. All dies gelingt ihr mit einer mal sachlichen, mal poetischen Sprache, die den Lesern Mimis Kindheitserinnerungen ebenso anschaulich vor Augen führt wie die zunehmende Beklemmung und Angst angesichts rechter Gewaltexzesse in der Wendezeit. Gerade in dieser Hinsicht ist Präkels‘ beeindruckender Roman über das Jungsein in erschreckender Weise aktuell.
Der Gewinner in der Kategorie Sachbuch
Gianumberto Accinelli
Der Dominoeffekt
Fischer Sauerländer
ISBN: 978-3-7373-5471-4
19,99 €
Ab 9 Jahren
Jurybegründung
In 18 Kapiteln schildert Gianumberto Accinelli die mitunter verheerenden Folgen menschlicher Eingriffe in das sensible Gleichgewicht der Natur. Die als „Dominoeffekt“ bezeichneten Kettenreaktionen im Ökosystem werden an teils dramatischen, teils kuriosen Beispielen veranschaulicht.
Mit seinen Fallbeispielen aus unterschiedlichen Kontinenten fordert Accinelli eindringlich zum respektvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen und zur Achtsamkeit gegenüber allen Lebewesen auf. Die komplexen ökologischen Zusammenhänge werden in flüssigem Erzählton beschrieben, die Gliederung in kurze Abschnitte mit Zwischenüberschriften trägt zur Verständlichkeit der Darstellung bei. Die kenntnisreiche Übersetzung von Ulrike Schimming wird diesem außergewöhnlichen „literarischen Sachbuch“ auch in der deutschen Ausgabe gerecht. Die künstlerisch anspruchsvollen Illustrationen von Serena Viola kommentieren phantasievoll den Text und verleihen ihm eine eigenwillige Leichtigkeit. Gezeichnete „Fäden“ durchziehen das gesamte Buch vom Vorsatz bis zum Schlusskapitel und machen symbolhaft deutlich, dass immer alles mit allem in Zusammenhang steht.
Unser Favorit in der Kategorie Preis der Jugendjury
Angie Thomas
The Hate U Give
cbj
ISBN: 978-3-570-16482-2
18,00 €
Ab 14 Jahren
Jurybegründung
Starrs Alltag im Schwarzenghetto ist geprägt von Gangkonflikten und der Konfrontation von Schwarzen und Weißen. Sie erlebt diese täglich direkt, da ihre Eltern sie auf eine Privatschule schicken, die vorwiegend von Weißen besucht wird. Starr ist zerrissen zwischen der „hood“ und der Schule. Die Krise eskaliert, als ihr Freund Khalil von einem weißen Polizisten erschossen wird und sie die einzige Zeugin des Vorfalls ist. In ihrer Nachbarschaft reagieren die Menschen aggressiv, Unruhen brechen aus. In der Schule kann sich Starr nicht zu dem Vorfall äußern, sie wird mit dem Rassismus der Mitschüler konfrontiert. Sie muss sich entscheiden und den Mut aufbringen, sich zu bekennen.
Die Protagonistin überzeugt: Starr ist einfach eine normale 16-Jährige – sie will sich amüsieren, kämpft mit Liebeskummer und hat Streit mit Freundinnen und Eltern. Der Leser folgt ihren Überlegungen, dabei werden die Konsequenzen des Vorfalls bewertet. Starrs Suche nach Identität zeigt sich auch auf sprachlicher Ebene, sie steht erkennbar in einer Welt voller Zerwürfnisse, aber auch von großer Solidarität und Zusammenhalt. Ihr Mut, Vorurteile und Streitigkeiten zu überwinden, motiviert, das eigene Handeln zu hinterfragen. Angie Thomas thematisiert die aktuelle Frage von Recht und Gesetz in der Gesellschaft, sie ist nicht nur fokussiert auf die USA, sondern ruft generell zu mehr Zivilcourage auf.